Sonnenseite

Michael Sailstorfer, 2010

Sonnenseite, Michael Sailstorfer, 2010 © Stiftung der Sparda-Bank West | Foto: Ivo Faber
Sonnenseite, Michael Sailstorfer, 2010 © Stiftung der Sparda-Bank West | Foto: Ivo Faber
Sonnenseite, Michael Sailstorfer, 2010 © Stiftung der Sparda-Bank West | Foto: Ivo Faber
Sonnenseite, Michael Sailstorfer, 2010 © Stiftung der Sparda-Bank West | Foto: Ivo Faber
Sonnenseite, Michael Sailstorfer, 2010 © Stiftung der Sparda-Bank West | Foto: Ivo Faber
Sonnenseite, Michael Sailstorfer, 2010 © Stiftung der Sparda-Bank West | Foto: Ivo Faber

Zur Skulptur von Michael Sailstorfer


Doris Krystof

Für eine noch in Planung befindliche Grünanlage im nördlich der Essener Innenstadt gelegenen Universitätsviertel hat Michael Sailstorfer im Rahmen des Sparda-Kunstpreises eine Skulptur entwickelt, die den zukünftigen Nutzer_innen des neuen Quartiers eine besondere Aussicht bereiten sollte. Noch vor Baubeginn wurde auf dem jahrelang brachliegenden Gelände Sailstorfers Skulptur „Sonnenseite“ aufgestellt, eine begehbare Gerüstkonstruktion mit in sechs Meter Höhe angehängtem Gründerzeitbalkon, von dem aus der neu anzulegende Park in Richtung Süden vollständig zu überblicken ist. Der wie oft bei Sailstorfer hintergründig-poetische Titel der Skulptur artikuliert pointiert den Zukunftsoptimismus der durch ein Bürgerbegehren initiierten Parkanlage und stellt zudem einen Zusammenhang zum Strukturwandel der Ruhrregion im nachindustriellen Zeitalter her. An der Stelle, wo einst der Zugang zur Krupp‘schen Gussstahlfabrik, der sogenannten „Verbotenen Stadt“, gelegen hatte, wo später der Großmarkt angesiedelt war, die jährliche Kirmes stattfand und 1972 die Integrierte Gesamthochschule Essen errichtet wurde, sollte nach jahrzehntelangem, kommunalem Ringen das urbane Projekt „grüne mitte Essen“ realisiert werden – und Sailstorfers Skulptur markierte dabei gewissermaßen den Startschuss.

Insofern war das Projekt von Anfang an ein Wagnis – eine Skulptur in Gestalt einer improvisierten Aussichtsplattform, die gleichermaßen dem noch ganz und gar unfertigen Umfeld, seiner wechselvollen Geschichte und der unbekannten Zukunft des Quartiers Rechnung tragen sollte. Noch bei der Einweihung der Skulptur am 2. Juli 2010 war von der Hoffnung die Rede, dass mit der neuen Essener Nordstadt der „Dornröschenschlaf“ des Viertels bald beendet sei. Die Kombination aus historistischem Balkon mit Balustraden und Konsolen sowie der eigens angefertigten begehbaren Konstruktion aus oxidrotem Vierkantstahl erinnert an eine Filmkulisse oder an ein Display eines Großmarkts für Bauelemente und bringt das Offene und Visionäre der 2009 in Essen vorgefundenen Situation zum Ausdruck. Der über eine Treppe zugängliche, von jeglicher Architektur separierte Balkon wirkt surreal und spielt mit Kontrasten wie temporärer oder dauerhafter Nutzung von privatem oder öffentlichem Raum. Formal transzendiert Sailstorfers Skulptur Fragen nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Während der Steinbalkon ins 19. Jahrhundert und damit in die Gründungsära der Stahl- und Kohleindustrie verweist und das minimalistisch-technisch-industriell wirkende Stahlgerüst das 20. Jahrhundert zitiert, artikuliert die Aufforderung zu Partizipation und Interaktivität zentrale Aspekte eines erweiterten Skulpturbegriffs im frühen 21. Jahrhundert.

Der als Künstler mehrfach ausgezeichnete Michael Sailstorfer, der an der Münchener Kunstakademie bei Olaf Metzel Bildhauerei studiert hat, geht in experimentellen Prozessen vielfach an die Grenzen des Verständnisses von Kunst, um deren Dialogfähigkeit zu testen. Legendär sind seine Beiträge zur Kunst im öffentlichen Raum, bei denen subversive Eingriffe tradierte Ordnungsprinzipien provozieren. In der Erörterung seines Wettbewerbsentwurfs für den Sparda-Kunstpreis hat Sailstorfer erklärt: „Die Skulptur wird zur Bühne des täglichen Lebens, indem sie von den Bewohnern und Besuchern Essens auf unterschiedlichste Weise gesehen und genutzt wird.“

Dass eine solche Nutzung Vandalismus einschließen kann, hat die Skulptur „Sonnenseite“ in Essen kurz nach ihrer Aufstellung mehrfach erfahren müssen. Seitdem sorgt eine neue vom Künstler autorisierte Fassung, in der der historistische Balkon durch einen Balkon mit Stahlgeländer ersetzt ist, für eine weiterhin gute Aussicht in dem inzwischen vollständig bebauten und viel frequentierten Areal.


Wettbewerb Stadt Essen

Jury*

  • Dr. Dietrich Goldmann, Vorsitzender „Jury Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Essen“
  • Prof. Dipl.-Ing. Eberhard C. Klapp, Mitglied „Jury Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Essen“
  • Dr. Doris Krystof, Kuratorin Kunstsammlung NRW, Düsseldorf
  • Martin Recker, Vorstand der Stiftung der Sparda-Bank West, Düsseldorf
  • Berthold Reinartz, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung der Sparda-Bank West, Düsseldorf
  • Hanns-J. Spieß, Vorsitzender des Kulturausschusses der Stadt Essen
  • Manfred Stevermann, Vorstand der Stiftung der Sparda-Bank West, Düsseldorf
  • Renate Ulrich, Kunstberaterin, Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Kunst, Kultur und Soziales der Sparda-Bank West, Düsseldorf

*Bezeichnung der Jury zum Zeitpunkt der Ausschreibung 2009


Eingeladene Künstler_innen

  • Stefan Demary, Düsseldorf (†)
  • Gereon Krebber, Köln
  • Sigrid Lange, Köln
  • Olaf Nicolai, Berlin
  • Michael Sailstorfer, Berlin
  • Veit Stratmann, Paris


Zu Michael Sailstorfer

  • *1970 in Velden
  • 1999–2005 Studium an der Akademie der Bildenden Künste München
  • 2002 „Und sie bewegt sich doch!“, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München
  • 2003–2004 Studium am Goldsmiths College, London, Großbritannien
  • 2005 Villa Aurora Residency, Los Angeles
  • 2006 International Studio Programme, Office for Contemporary Art, Oslo, Norwegen
  • 2006 „ars viva“-Förderpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft im BDI, Berlin
  • 2008 „10000 Steine“, Schirn Kunsthalle, Frankfurt / Main
  • 2010 „Michael Sailstorfer“, Goethe-Institut Moskau, Russland
  • 2011 Kunstpreis „junger westen“, Recklinghausen
  • 2017 August-Macke-Preis, Hochsauerlandkreis
  • 2017 „Michael Sailstorfer, Clouds and Tears“, Projects Monclova, Mexico City

Michael Sailstorfer lebt und arbeitet in Berlin.
www.sailstorfer.de


© Alle Rechte vorbehalten. Abdruck nur nach ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung der Autor_innen, der Fotograf_innen und Künstler_innen sowie der Stiftung Kunst, Kultur und Soziales der Sparda-Bank West.